Stell dir vor, du sitzt an der Rohfassung deines Romans und willst die letzte Szene nur schnell nochmal durchlesen, bevor du den Rechner für heute zuklappst. Dann fängst du plötzlich an, Sätze umzustellen, etwas zu löschen oder an einer schöneren Formulierung zu feilen. Und schwupp, bist du im Überarbeitungs-Modus. Am nächsten Morgen starrst du auf den blinkenden Cursor, möchtest eigentlich weiterschreiben, aber hast das Gefühl, alles ist totaler Mist. Damit das nicht passiert, empfehle ich dir, das Überarbeiten vom Schreiben zu trennen. Warum?
1. Überarbeiten beschäftigt andere Bereiche in deinem Hirn
Schreiben ist ein schöpferischer Akt – dabei geht es um Intuition, Vorstellungskraft und freien Ausdruck. Du kennst bestimmt diese magischen Momente, in denen du im Flow bist und völlig in deiner Geschichte abtauchst (ich sehe das Lächeln auf deinem Gesicht). Dieser kreative Prozess findet vor allem in der rechten Hirnhälfte statt. Diese ist nämlich mit Kreativität, Emotionen, Phantasie und bildhaftem Denken verbunden. Während des Schreibens konzentriert sich das Gehirn also darauf, Ideen zu generieren und diese auf eine kreative Art und Weise auszudrücken.
Die Überarbeitung ist im Grunde das Gegenteil davon, nämlich ein analytischer Prozess. Hierbei geht es darum, deinen Roman und die Charaktere zu verbessern, Plotlöcher zu stopfen oder die Handlung zu straffen. In dieser Phase betrachtest du deine Arbeit kritisch und triffst überlegte Entscheidungen, denkst über Marktfähigkeit nach und hast idealerweise auch die Erwartungen deiner Wunsch-Leserschaft im Blick. Bei alldem ist dein Gehirn in erster Linie mit logischem Denken und analytischen Prozessen beschäftigt. Und diese finden vor allem in der linken Hirnhälfte statt.
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2. Du bleibst im Schreiflow
Beim Schreiben der ersten Fassung deines Romans brauchst du Raum für Fehler, Unvollständigkeiten und Experimente. Und mal ehrlich: Was gibt es Schöneres, als dich ganz auf deine Kreativität und Inspiration konzentrieren? 😍
Diesen freien Zustand solltest du genießen, denn er hat was absolut Magisches. Wenn du nun gleichzeitig versuchst, Fehler zu korrigieren oder Sätze zu perfektionieren, kann es passieren, dass du aus diesem Flow gerissen wirst. Dadurch verlangsamt sich der Prozess und es fällt dir sehr viel schwerer, eine zusammenhängende Geschichte zu entwickeln.
3. Du vermeidest Perfektionismus
Wenn du beim Schreiben ständig überarbeitest, besteht die Gefahr, dass du versuchst, jede einzelne Szene oder jedes Kapitel sofort perfekt zu machen. Klar, ich verstehe den Impuls, aber er ist durchaus gefährlich. Diese Art von Perfektionismus weckt nämlich sehr oft den inneren Kritiker, den wir in dieser Phase aber noch nicht gebrauchen können. Ist der erstmal am Start, kann das dazu führen, dass du blockierst und nie wirklich vorankommst. (Du kannst ihn übrigens ganz gut vertrösten, indem du mit ihm den Deal machst, dass er sich später in der Überarbeitung austoben kann, aber beim Schreiben der Rohfassung die Füße stillhält).
Bringe deine Geschichte erstmal vollständig zu Papier, und schiebe das Überarbeiten auf später. Und bedenke: Der erste Entwurf deines Romans darf richtig schlecht sein! Deshalb heißt sie „Rohfassung“. Es ist wie bei einem Diamanten – der wird auch erst durch den Schliff zu einem Prachtstück. (Übrigens hat das schon der Schriftsteller Ernest Hemingway gewusst und gesagt: Die erste Fassung ist immer Mist). Erlaube dir also Mittelmäßigkeit, das ist total befreiend. Du kannst dir sogar vornehmen, den schlechtesten Entwurf aller Zeiten zu schreiben. Das mache ich auch – funktioniert noch besser 😀.
4. Du hast die Struktur deines Romans besser im Blick
Wenn du den gesamten ersten Entwurf in einem Rutsch fertiggeschrieben hast, ist es leichter, in einem nächsten Arbeitsschritt erst die Geschichte als Ganzes zu betrachten. Du kannst dann besser beurteilen, ob die Struktur funktioniert, ob die Handlungsstränge logisch aufgebaut sind und ob es dramaturgische Lücken gibt. Beim Schreiben ist es oft schwieriger, das Gesamtbild im Auge zu behalten.
5. Du sparst viel Zeit
Ich kann dir garantieren: Wenn du beim Schreiben ständig überarbeitest, dauert der gesamte Prozess ziemlich sicher viel länger. Außerdem fängst du irgendwann an zu „verschlimmbessern“, wenn du immer wieder in deinem Text herumwurschtelst. Du bist schneller, wenn du – egal wie – zuerst einen kompletten Entwurf zu Ende bringst und dann gezielt in die Überarbeitung gehst. Dadurch bleibst du fokussierter und wirst automatisch schneller, denn du kannst dich auf bestimmte Schwächen konzentrieren, ohne immer wieder neu zu starten.
6. Du bekommst einen frischen Blick für deinen Roman
Du kennst das sicher auch: Je tiefer du in deinem Text drin bist, desto mehr siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Das ist ganz normal. Wir werden für unsere eigenen Texte und Geschichten ganz automatisch betriebsblind und sehen keine Fehler mehr. Deshalb ist ein heißer Tipp: Nach dem Schreiben des ersten Romanentwurfs das Manuskript für ein paar Tage oder Wochen weglegen. So „entfremdest“ du dich deinem Text und kannst danach mit frischem Auge und emotionaler Distanz an die Überarbeitung gehen. Mit diesem Abstand erkennst du viel klarer, welche Szenen schon sehr gut funktionieren und welche vielleicht noch nicht, ohne immer wieder an deinen Lieblingsstellen hängenzubleiben.
7. Du überarbeitest mit System
Und noch ein Grund, beide Prozesse voneinander zu trennen: Wenn du es machst, kannst du viel systematischer vorgehen. Du kannst zum Beispiel in mehreren Durchgängen arbeiten: Zuerst kümmerst du dich um das große Ganze, also Plot, Handlungsstränge oder Charakterentwicklung, dann um die Feinheiten wie Sprache, Dialoge, Stil. Ein solcher methodischer Ansatz bringt deutlich mehr als ständiges Hin-und-Her-Switchen zwischen Kreation und Überarbeitung.